Erste Stellungnahme der HR Nord zum Vorhaben des Nds. Justizministeriums zur Restrukturierung der Rechtspflegerausbildung in Niedersachsen durch Auflösung der Hochschule und Neugründung einer Justizakademie
Die Norddeutsche Hochschule spricht sich gegen die Umwandlung in eine Akademie aus.
Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger sind als sachlich unabhängige, nur Recht und Gesetz unterworfene Organe unverzichtbare Stützen unseres Rechtsstaats (vgl. § 9 RPflG). Das findet Anerkennung in ihrem Hochschulabschluss, der vom Bundesgesetzgeber bewusst gewählt wurde, um Berufsfertigkeit und Bundeseinheitlichkeit der Ausbildung zu gewährleisten (vgl. § 2 RPflG). Der Verlust des Hochschulstatus in Niedersachsen gefährdet die Bundeseinheitlichkeit des Abschlusses und die hohe fachliche Qualifikation, die der Beruf des Rechtspflegers voraussetzt. Eine Akademie kann eine weisungsunabhängige Ausbildung nicht in vergleichbarem Maß aufrechterhalten und auch keinen Hochschulgrad verleihen. |
Erste Stellungnahme der Norddeutschen Hochschule für Rechtspflege
Die Norddeutsche Hochschule für Rechtspflege lehnt den Vorschlag der niedersächsischen Landesregierung ab, die Norddeutsche Hochschule für Rechtspflege (HRNord) in Hildesheim zum 01.01.2026 aufzulösen und stattdessen eine Justizakademie als nachgeordnete und weisungsgebundene Justizbehörde zu gründen.
Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger sind nach § 9 Rechtspflegergesetz (RPflG) ein sachlich unabhängiges Entscheidungsorgan der Justiz. Sie üben ihre Tätigkeit weisungsfrei und eigenverantwortlich aus, was eine hochwertige und unabhängige Ausbildung erfordert. Den rechtlichen Rahmen schafft der durch das zweite Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes vom 18.08.1976 (BGBl. I S. 2186) eingefügte § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG. Mit dieser Norm hat der Bundesgesetzgeber ein Studium auf Bildungsebene der Fachhochschule oder einem vergleichbaren Studiengang vorgeschrieben: „Da der Aufgabenbereich der Rechtspfleger fast ausschließlich durch Bundesgesetze geregelt ist, muß auch ihre Ausbildung nach einheitlichen Grundsätzen erfolgen" – und zwar bundesweit (BT-Drs. 7/2205 S. 5). Der Zweck des § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG besteht mithin darin, eine „Zersplitterung" der Ausbildung zu vermeiden (Dörndorfer, RPflG, 4. Aufl. 2023, § 2 Rn. 7). Hinzu kommt eine Änderung des Berufsbildes, die daher rührt, dass „der Kreis der vom Richter auf den Rechtspfleger voll übertragenen Rechtsgebiete erheblich ausgedehnt worden" ist (BT-Drs. 7/2205 S. 5).
Dieser (aktuell sogar noch beschleunigte) Wandel erfordert eine Ausbildung, „die den Rechtspfleger zur Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden befähigt" (BT-Drs. 7/2205 S. 5). Eine lediglich wortgetreue Auslegung des Gesetzes ist oft nicht ausreichend, Normen müssen interpretiert werden und nicht geregelte Sachverhalte mittels Analogie und Teleologie entschieden werden können (Arnold u.a., RPflG, 8. Aufl. 2015, § 2 Rn. 64 f.). Der Studiengang hat deshalb praktische und theoretische Elemente zu umfassen, „die als gleichgewichtig anzusehen sind" (BT-Drs. 7/2205 S. 5). Es gibt also gute Gründe, warum der Bundesgesetzgeber auf der Ebene von Fachhochschulen einen einheitlichen Standard hat festlegen wollen (s. den Überblick bei Arnold u.a., RPflG, 8. Aufl. 2015, § 2 Rn. 61-63). Mit der Einrichtung einer Justizakademie würde Niedersachsen aus der bundeseinheitlichen Regelung ausscheren und nicht nur einer gesetzwidrigen „Zersplitterung" der Ausbildung Vorschub leisten, sondern auch einen länderübergreifenden Stellenwechsel gefährden. Darüber hinaus käme es zu einer mit § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG unvereinbaren Abwertung der fachtheoretischen Ausbildung.
Ausbildung und Abschluss an einer Akademie sind nicht mit einem Fachhochschulstudium gleichzusetzen. Für die niedersächsische Polizeiakademie hat das Verwaltungsgericht Göttingen (Urt. v. 6.11.2013 - 1 A 190/13, BeckRS 2013, 59006, beck-online) festgestellt, dass die Ausbildung an der Polizeiakademie nicht als Hochschulstudium anzusehen ist. Das bundesrechtliche Gebot der Ausbildung auf Fachhochschulebene kann das Land nicht durch eine gesetzliche Fiktion aushebeln. Gem. § 8 Niedersächsisches Hochschulgesetz (NHG) dürfen zudem Hochschulgrade wie der von der HRNord bislang verliehene Diplomgrad (vgl. § 53 Abs. 1 S. 3 NHG) ausschließlich von Hochschulen verliehen werden. Bei dem vom MJ avisierten Ausbildungsabschluss kann es sich folglich nicht um einen Hochschulgrad handeln (vgl. HK-NHG/Becker, 2. Aufl. 2023, NHG § 8 Rn. 53). Auch diese qualitative Herabstufung ließe sich nicht durch eine gesetzliche Gleichwertigkeitsbestimmung kompensieren. Die Gründung der Steuerakademie im Jahr 2006 kann daher nicht als Blaupause für die Auflösung der HR Nord dienen. § 48 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Steuerbeamtinnen und Steuerbeamten (StBAPO) stellt geringere Anforderungen als § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG. § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG ist der Grund, warum die Rechtspflegerausbildung bei der Auflösung der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege im Jahr 2007 als einzige Fakultät nicht in eine Berufsakademie überführt wurde (vgl. LT-Drs. 15/3595 S. 17).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Ausbildung und Abschluss an einer Justizakademie dem bisherigen qualitativen Standard nicht entsprechen werden. Im Vergleich zur bundesrechtlichen Reformgesetzgebung bildet der Vorschlag der niedersächsischen Landesregierung einen Rückschritt. Mit Blick auf die gewandelten Aufgaben der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger muss die mit der Einrichtung einer Justizakademie einhergehende qualitative Herabstufung der Ausbildung geradezu als anachronistisch bezeichnet werden. Die in einer Akademie ausgebildeten Absolventinnen und Absolventen wären im bundesweiten Rahmen Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger zweiter Klasse. Fraglich wäre, ob sie überhaupt noch Rechtspfleger im Sinne des RPflG wären, weil sie keinen den Anforderungen des § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG entsprechenden Vorbereitungsdienst abgeleistet hätten. Die Folgen wären nicht absehbar - wer kann ausschließen, dass künftig Entscheidungen nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil sie nicht von einem Rechtspfleger im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 RPflG getroffen worden sind?